08 Leben in der Feudalzeit - Gemeinde Fisch

Gemeinde Fisch
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08. Leben in der Feudalzeit

Fisch als Teil Luxemburgs – Gerichtsbarkeit und Grundbesitz

Fisch gehörte mit seiner Gemarkung und einschließlich der darin  liegenden ehemaligen Ortschaften Litdorf und Rehlingen zur großen  geschlossenen Grundherrschaft Wincheringen und war während des  Mittelalters bis 1794 Teil des Großherzogtums Luxemburg. Wie bereits  erwähnt erhält das Trierer Stift St. Simeon im 11. Jahrhundert von  Erzbischof Poppo umfassende Besitzungen in Wincheringen und auch in  Fisch und Rehlingen übertragen. Diese Besitzübertragung aus  bischöflichen, vielleicht vormals königlichen Gütern, spiegelt sich noch  Jahrhunderte später in den Patrnonatsrechten des Erzbischofs und dem  Zugriffsrecht auf den Zehnten wider.
Die so entstehende Grundherrschaft Wincheringen, zu der auch Fisch  gehört, bedeutet für den Inhaber, dass er nicht nur eine eigenständige  Herrengewalt besitzt, die sich in Gerichtsbarkeit und Abgabepflicht der  Untertanen niederschlägt, sondern auch Schutz vor Unrecht, Krieg und  anderem Unheil bedeutet.
Bei der fränkischen Landnahme wurde der größte Teil des Landes  Königsgut. Jeder freie Franke erhielt so viel, wie es der Wille des  Königs und die Übereinkunft mit dem Nachbarn zuließen. Als die Zeit  ruhiger wurde, bildeten sich starke Unterschiede in der Gesellschaft  heraus: Krieger wurden durch Lehen belohnt und wurden zu Grundbesitzern.  Jeder freie Franke mit Grundbesitz war zum Kriegsdienst als  selbstständiger Reiter verpflichtet. Um dem lästigen Kriegsdienst zu  entgehen, traten die kleinen Grundbesitzer den größeren ihr Eigentum ab  und empfingen es als Lehen zurück, ein Vorgang, der viel zur  Vergrößerung der Macht der Reichen beitrug. Der große Besitz einiger  weniger erzeugte bald eine Ungleichheit, die - nicht nach dem Recht,  aber in der Praxis - den Belehnten in ein Dienerverhältnis zum  Lehnsherrn brachte. Schließlich betrachteten sich die reichen  Grundbesitzer als einen höheren Stand der Freien, den Grundadel.
Ein großer fränkischer Hof – wie etwa der Rehlingerhof – wurde  nicht vom Grundherrn selbst bewirtschaftet. Das besorgte für einen  kleineren Teil des Guts der Meier (Verwalter) mit dem Gesinde (Knechte,  Mägde, Taglöhner, Müller, Bäcker, Brauer u.a.) Der größere Teil wurde  von Gehöftern (Hofleuten) bearbeitet, die auf angegliederten kleinen  Höfen lebten und dem Herrn Zehnt entrichten mussten. Es waren - Freie  oder Freigelassene, denen der Herr einen Hof als Lehen gab, -  Minderfreie oder Hörige, die zwar persönlich frei waren, aber mit  Frondiensten für den Herrn belastet waren, - Unfreie oder Leibeigene,  die oft drei oder mehr Tage in der Woche Fronarbeit leisten mussten. Sie  waren an die Scholle - das Land des Gutsherrn - gebunden, besaßen kein  unbewegliches Eigentum und durften ohne gutsherrliche Erlaubnis nicht  heiraten; bei ihrem Tod fiel das beste Stück ihrer Habe dem Herrn zu.  Der Kirche gelang später die teilweise Aufhebung dieser  menschenunwürdigen Regelungen.
Regelmäßig wurde die Gemeinde, damit sind die Freien innerhalb der  Banngrenzen gemeint, zum "Jahrgeding" geladen. Vom Gemeindevorstand und  von drei Schöffen wurden die Herrschaftsverhältnisse, der  Gerichtsbezirk, die Abgaben und Dienstleistungen mündlich den  Versammelten "gewiesen", später in einem schriftlichen "Weistum"  festgehalten. Dann wurde zum Vorbringen von "Rügen" (Klagen über  Missstände) aufgefordert. Über kleinere Vergehen entschied der  Dorfvorstand, größere kamen vor das Grundgericht.
In einem solchen Jahrgeding wurde auch über die Banngrenzen  „gewiesen“. Diese bildeten sich in fränkischer Zeit und wurden nach  Gewohnheitsrecht überliefert. Grenzen im heutigen Sinne gab es nicht.  Der Grenzverlauf war durch Marken, z.B. markante Bäume, Findlinge oder  Bachläufe markiert. Erst in späteren Jahrhunderten haben die Grundherren  die Gemarkungsgrenze mit Grenzsteinen versehen, wie sie heute noch auf  dem Bann gefunden werden.

Einer dieser Grenzsteine wurde im Jahre 2003 restauriert und  zwischen Fisch und Körrig wieder aufgestellt. Der Sandstein zeigt das  Wappen der Warsberger, die spätestens ab 1557 als Besitzer des  Rehlingerhofes auch in Fisch die als luxemburgisches Lehen  Grundherrschaft übernahmen. Das Wappen zeigt einen aufrecht  schreitenden, Gold gekrönten Löwen. Unter dem Wappen ist das  Buchstabenkürzel WRB für Warsberg eingraviert, ebenso die Jahreszahl  1710.
Um 1150 wird Vische erstmals neben Liethdorf und Rehlingen genannt.  Wahrscheinlich gehörte dieses Land zur Grundausstattung des vom Trierer  Erzbischof Poppo gegründeten Stiftes und war somit ehemals Trierer  Bistumsgut. Von besonderer Bedeutung ist, dass das geschichtliche  Zentrum der Pfarrkirche und des Hofgutes nicht in der heute größten  Siedlung Fisch, sondern in Rehlingen und Litdorf lag. Von diesen  Siedlungen haben nur die Kirche und der herrschaftliche Hof überdauert  und die Pfarrkirche bezeugt bis heute trotz Einbußen von Filialen ihre  geschichtlich zentrale Funktion.
Diese eigentümliche Situation verursachte zum Teil noch heute  nachwirkende Sitzverhältnisse und verantwortete das späte Entstehen von  Gemeinschaftseinrichtungen in Fisch.
Im 15. Jahrhundert gelang es dem Herzogtum Luxemburg, die  territoriale Ordnung im Widerstreit mit Kurtrier für sich zu  entscheiden. Dies gelang über die vom Kurfürsten verlehnten und von  Vögten ausgeübten Hochgerichtsrechte. Mit dem zur Herrschaft  Wincheringen gehörenden Fisch reichte Luxemburg nun sehr nahe an die  kurtrierische Amtsstadt Saarburg heran.
Über die dörfliche Entwicklung ist wenig bekannt. Zumindest ist die  Größe des Dorfes durch die Beschreibung des Hochgerichtsbezirkes 1537  bekannt. Danach hatte Fisch sechs Feuerstellen, was etwa 50 Einwohnern  entspricht. Rehlingen ist mit zwei Feuerstellen bezeichnet und Litdorf  nicht mehr erwähnt. Die gesamte Entwicklung des auch heute noch  landwirtschaftlich orientierten Ortes blieb bis zum Ende der Feudalzeit  bescheiden.
Von der fränkischen Siedlung Litdorf ist allein die Pfarrkirche  erhalten. Schon vor dem Dreißigjährigen Krieg wird der Ort nicht mehr  erwähnt und fehlt schon bei der Bestandaufnahme der Feuerstellen 1537.  Die Visitation von 1569 verzeichnet die Pfarrei unter dem Namen  Rehlingen und 1743 besteht Unsicherheit, ob der Pfarrort nicht Rehlingen  heißen müsste, da es einen Ort Litdorf nicht gibt. Littdorf zählte nach  der auf Erzbischof Albero (1131 bis 1152) zurück gehende  Wallfahrtsliste zu den Pfarreien, die seit dem 10. Jahrhundert nach  Mettlach wallfahrten. 1569 wird auch der Umfang der Pfarrei bekannt, die  mit den Filialen Mannebach und Kahren (samt Rehlingen und Kümmern) auch  unter trierischer Landeshoheit stehenden Ort umfasste. Das  Patronatsrecht befand sich seit der Nennung der Inhaber im 15.  Jahrhundert in den Händen der Eigentümer des Hofgutes Rehlingen, gehörte  zuvor jedoch dem Bistum und der Erzbischof blieb Hauptzehntherr.
Ob Rehlingen einen eigenständigen Ort bildete, ist unbekannt, dafür  sprechen jedoch einige Baureste. 1537 bestand Rehlingen jedoch nur aus  zwei Feuerstellen und anlässlich der Visitation 1743 wird bekannt, dass  es keine eigene Gemeinde bildete und aus dem Warsberger Hof und dem  Pfarrhaus besteht. Das Hofgut kaufte 1440 der kurtrierische Amtmann in  Saarburg Oswald von Bellenhausen von Theis von Rehlingen. Es war  ursprünglich Lehen des Trierer Domstiftes oder des St. Simeon Stiftes.  Das aus mehreren Gebäuden, darunter eine Mühle, bestehende Hofgut  kauften 1557 die Freiherren von Warsberg. Sie richteten im Hofhaus eine  1743 konsekrierte Hauskapelle des hl. Johannes von Nepomuk ein. Zum  Rehlinger Hof gehörte ein Landbesitz, der mit 372 ha. größer war, als  der ganze Bann von Fisch mit 318 ha.
Der Schrecken des Dreißigjährigen Krieges
Dieser europäische Krieg führte in nahezu ganz Deutschland zu  unglaublichen Verwüstungen und Bevölkerungsverlusten. Man nimmt an, dass  rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung Deutschland infolge von Krieg,  Hunger und Seuchen ums Leben kam. In manchen Gegenden, darunter auch der  Saargau als ständige Kriegsroute einfallender Heereshaufen und  herumziehender Marodeure, muss sogar mit einer noch höheren Verlustquote  gerechnet werden.
Wie verheerend im wahrsten Sinne des Wortes diese Zeit hier bei uns  war, sollen ein paar Beispiele aus Nachbarorten des Trierer Amtes  Saarburg zeigen.
Noch bis 1632 war unsere Region weitgehend von den  Kriegsereignissen verschont geblieben. Nach dem Kriegseintritt  Frankreichs änderte sich dies jedoch. Innerhalb weniger Jahre führten  die Plünderungszüge von Soldaten aller kriegsführenden Parteien zu einer  Katastrophe unbekannten Ausmaßes. Ganze Dörfer verschwanden von der  Landkarte und ehemals bebautes Ackerland war wieder verwildert.
In einer Verzeichnis des Amtes Saarburg heißt es hierzu: „Palzem,  Körrig und Soest sind ganz abgebrannt.“ Kaiserliche und Bayrische  Soldaten verübten an den eigenen Untertanen ungeheuerliche Gräueltaten.  In dem Bericht heißt es: „Mann, Weib und Kinder wurden aufgehangen, in  glühende Backofen gesteckt und ihnen der Schwedentrunk (Jauche)  eingeschüttet.“ Hände und Füße wurden abgehackt, Frauen vergewaltigt und  fortgeschleppt. Kinder wurden zum Kriegsdienst gepresst.
Mit den Soldaten kamen die Seuchen ins Land. Bereits vor 1632 kam es  immer wieder zu Ausbrüchen der Pest und Typhus. Zwischen 1632 und 1636  wurde das Luxemburger Land von einer schweren Pestepedemie heimgesucht.  In dieser Zeit entstanden vielerorts Sebastianus-bruderschaften, die  Bußwallfahrten organisierten und sich um die Kranken, Toten und  Hinterbliebenen sorgten.
Die Furcht vor den Soldaten und den Seuchen trieb viele Menschen in  die Wälder, wo man sich von Beeren und Gräsern ernähren musste. Wie groß  die Hungernot sein musste, wenn die Felder verwüstet, die Ernte  beschlagnahmt und die Tiere als Nutztiere oder Futter requiriert waren,  kann man sich heute nur schwer vorstellen. Viele Dörfer waren  menschenleer, ehemals gepflegte Feldfluren verödeten und verwilderten.  Einige Zahlen mögen das verdeutlichen. Von den 1478 Pferden im Amt  Saarburg (das waren 40 Prozent mehr als 1950!) waren am Ende des Krieges  ganze 118 übrig. In den kleineren Orten des Saargaus gab es überhaupt  keine Pferde mehr. Ebenfalls besonders hart war der Saargau hinsichtlich  des Verlustes von Rindern getroffen. Ganze 5 Prozent des Rinderbestands  waren am Kriegsende noch vorhanden; auf dem Gau in vielen Orten kein  Stück mehr. Auch die vormals 11.000 Schafe und 1.300 Ziegen waren  faktisch restlos verschwunden. Der Ertrag der Ernten sank um 1650 an  Roggen auf 8 Prozent der ehemaligen Ernte, bei Hafer auf 7 Prozent und  Weizen sogar auf nur noch 2 Prozent. Die Überlebenden hatten schließlich  riesige Geldsummen für die Kosten des Krieges und des Wiederaufbaus  aufzubringen. Viele Dörfer waren hoffnungslos überschuldet. All dies  führte zu einem Bevölkerungsrückgang unbekannten Ausmaßes. 1684 waren in  Mannebach und Kümmern noch gerade 6 von ehemals 14 Haushaltungen übrig.  In Körrig war es von ehemals fünf noch einer. Bilzingen war ganz  verwaist. In Tawern war die Zahl der Haushalte von 27 auf gerade noch  ein Viertel (7) gesunken.
Die Glockenfehde zwischen Fisch und Mannebach
Die von Michel Winter niedergeschriebene Erzählung gibt einen  guten Eindruck von der Nachbarschaft zwischen dem luxemburgischen Fisch  und dem trierischen Mannebach. Sie sei hier ungekürzt wiedergegeben.
Bis zur Besetzung des Rheinlandes durch französische Truppen im Jahre  1794 gehörten die beiden Saargaugemeinden Fisch und Mannebach  verschiedenen Herrschaften an. Mannebach zählte zum Trierer Erzstift,  während Fisch zusammen mit dem Rehlinger Hof und dem alten Pfarrort  Litdorf Teil des österreichischen Großherzogtums Luxemburg war. Zu  dieser Pfarrei gehörten im 18. Jahrhundert die Orte Mannebach, Kümmern,  Fisch, Rehlingen, Kahren und teilweise Körrig. Warum gerade die  fränkische Siedlung Litdorf im Mannebachtal als religiöser Mittelpunkt  ausersehen wurde, ist bis heute unbekannt. Der Ort Litdorf war schon  lange vor dem Dreißigjährigen Krieg, vermutlich um 1555, durch die Pest  untergegangen. Nur die im 11. Jahrhundert erbaute und dem Hl. Jakobus  geweihte Kirche war, wenn auch stark beschädigt, stehengeblieben. Nur  der Turm überstand unbeschadet die folgenden Jahrhunderte.
Zwei alte  Glocken befinden sich heute im Turm der Kirche. Die Kleinere der beiden  ist der Form nach zu urteilen ein sogenannter Zuckerhut. Fast ohne  Dekor, wurde sie um das Jahr 1250 gegossen. Die Größere ist dem  Schutzpatron der Pfarrkirche geweiht. Neben reichem Dekor trägt sie  folgende Inschrift: IN GOTTES NAMEN LAUTEN ICK BOES WETTER VERTREIBEN  ICK JAKOB DER GROER HISCHEN ICH – ANNO DOMINI 1594.
Mitte des 18. Jahrhunderts nun war das Herzogtum Luxemburg in die  kriegerischen Auseinandersetzungen jener Zeit verwickelt. Schon damals  war es bei den Herrschern Sitte, die Hand nach der Bronze der  Kirchenglocken auszustrecken, die für Geschütze benötigt wurde. Dieses  Schicksal schien auch den beiden Glocken im Turm der Pfarrkirche in  Litdorf bevorzustehen. Irgendwie war die geplante Einziehung der Glocken  bekannt geworden und stieß auf den Unwillen der Bevölkerung. Sollte man  neben den hohen Frohn- und Steuerlasten als Folge des Krieges nun auch  noch die Glocken opfern? Man suchte nach einem Ausweg, um die Glocken  dem Zugriff des Landesherrn zu entziehen und im Besitz der Pfarrei zu  halten.
Die nahe „Grenze“ zum Trierer Nachbarn Mannebach gab den Ausschlag.  Da große Eile geboten schien, seilte ein Trupp verwegener junger Männer  die Glocken in der Nacht ab und brachte sie im Morgengrauen nach  Mannebach. In einem Bongert, einer mit einem Zaun umfassten Wiese zum  Bleichen der Leinen, neben dem heutigen Mannebacher Brauhaus, wurde nach  Vereinbarung mit den Einwohnern Mannebachs schnell ein Gerüst errichtet  und daran die Glocken provisorisch aufgehangen. Die Mannebacher gaben  das Versprechen, die Leihgabe sorgsam zu hüten, bis wieder friedliche  Zeiten für den Nachbarort anbrechen würden. In Mannebach war man sehr  erfreut über die kostbare Leihgabe und betrachtete mit der Zeit die  Glocken als willkommenes Geschenk. Ein Glöckner war schnell gefunden,  und hinfort wurden pünktlich zu den üblichen Zeiten die Klöppel der  beiden Glocken bewegt.
Vorerst war man in beiden Dörfern mit der Notlösung zufrieden.  Während man in Fisch sehnsüchtig auf den Frieden und die Heimkehr der  Glocken in den verwaisten Kirchturm wartete, hatte man in Mannebach  keine Eile. Man fand es gut so, der Klang der Glocke gehörte schon zum  Dorfalltag. Das Dorf hatte zu dieser Zeit noch keine Kirche, lediglich  eine kleine Kapelle, der Hl. Anna geweiht, ein sogenanntes Oratorium.  Wen wundert da der Sinneswandel der Mannebacher, die schließlich nach  gut einem Jahrzehnt nicht mehr zur Herausgabe der Glocken bereit waren?
Im Luxemburgischen war der Krieg endlich zu Ende. Das Land und die  Menschen erholten sich langsam von der Last der zurückliegenden Kriegs-  und Notjahre. Der Alltag kehrte auch nach Fisch zurück. Doch machte sich  an Sonntagen und bei Begräbnissen das beharrliche Schweigen des nahen  Kirchturms schmerzlich bemerkbar. Im Dorf machte sich die Stimmung  breit, diesen Zustand nicht länger hinzunehmen. Als nach all den Jahren  schließlich zwei Hochzeiten ins Land standen, gelobten die Brautleute,  nicht ohne feierliches Geläut den Festtag begehen zu wollen. Nun ergab  es sich, dass im zeitigen Frühjahr die beiden Dorfmeier von Fisch und  Mannebach beim Pflügen zusammentrafen. Auf dem Pfluggrendel sitzend,  gönnte man den Ochsen eine Rast, derweil die beiden Treibjungen in einer  nahen Schwarzdornhecke einem Kaninchen nachstellten. Das Gespräch der  älteren Männern ging hin und her, es gab ja so viel zu erzählen nach all  den Kriegsjahren. Als man schließlich wieder zur Arbeit aufbrach, sagte  der Fischer Meier: „Wenn wir den Samen im Boden haben, kommen wir die  Glocken holen.“ Der Mannebacher, schon halb im Gehen, drehte sich um und  fragte: „Pressiert es den nun so?“ und ging zu seinem Gespann. Der  Fischer überhörte die Frage und meinte, er würde früh genug Bescheid  geben. Dieser kam dann nach 14 Tagen, doch in Mannebach lachte man den  Boten aus und verlangte nach einem Schriftstück als Beweis, das  natürlich nicht vorgelegt werden konnte.
Der Flurschütz stieß nach seiner Rückkehr mit seinem Bericht auf  Unglauben. Ein Wortbruch! Landauf und landab galt ein Versprechen, das  mit einem Händedruck besiegelt wurde, genau so viel wie Brief und  Siegel. Auf der Stelle spannte der Fischer Dorfmeier seinen Ochsen vor  den Wagen, schnappte sich zwei Männer und fuhr in den Nachbarort, um  sich selbst Gewissheit zu verschaffen. Dort hatte man sie schon  erwartet. Das ganze Dorf war auf den Beinen und baute sich vor dem  Glockengerüst auf. Eine Diskussion wurde mit dem Bescheid: „Finger weg  von den Glocken, die gehören Mannebach!“ abgetan. Mit zornesroten Köpfen  traten die Fischer den Heimweg an. Ein offener Konflikt, gar eine  gewaltsame Wegnahme musste vermieden werden, zog doch Landfriedensbruch  schwere Strafen nach sich. Und auch die Möglichkeit, sich um Hilfe an  den eigenen Landesherrn zu wenden, bestand nicht – hatte man doch eben  diesem ein Schnippchen schlagen wollen.
So hieß es kühlen Kopf bewahren, die erregten Dörfler zu besänftigen.  Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, hieß die Devise. Mit demonstrativer  Gelassenheit ertrug man an den folgenden Sonntagen, wenn sich die beiden  Dorfgemeinschaften in der glockenlosen Pfarrkirche zum Gottesdienst  trafen, die spöttischen Bemerkungen der Mannebacher. Zudem wurde in der  Sommerzeit jede Hand auf dem Felde gebraucht. Von früh bis spät galt es,  die Ernte in die Scheune und den Keller zu bringen – für verwegene  Pläne oder lange Diskussionen war keine Zeit.
An einem Septembertag zog nun ein südländisch aussehender Mann von  ca. 50 Jahren mit Knotenstock und Feldranzen über die Kimm, die alte  Römerstraße über den Saargau, nach Fisch hinein. Ein längst  totgeglaubter Fischer, Theilen Häns, war aus dem Kriegsdienst  heimgekehrt! Als 16-jähriger hatte er sich einer berittenen spanischen  Escadron, die im Dorf Quartier bezogen hatte, angeschlossen. Zuerst als  Pferdebursche, schließlich als Söldner war er in spanischen Diensten  quer durch halb Europa gezogen und sogar bis in die Neue Welt gekommen.  Wegen seiner schwarzen Haare und seiner braungebrannten Haut wurde er  fortan nur noch „Schworzen“ genannt.
Als man seinen Erzählungen gelauscht und selbst berichtet hatte, was  sich im Heimatdorf zugetragen hatte, kam die Sprache natürlich auch auf  die abhanden gekommenen Glocken. „Das kann so nicht bleiben; das wird  schnell geändert“, war seine Antwort. Fortan sah man den Schworzen  häufiger im vertraulichen Gespräch mit dem Dorfmeier, dem Schmied und  einigen jungen Männern. Doch welcher Plan da ausgeheckt wurde, drang  nicht nach außen.
Der November kam, Nebelschwaden und Landregen lösten sich im öden  Einerlei ab. Die Frauen trafen sich zu den allabendlichen Spinnarbeiten  reihum in den Wohnstuben. Diese Woche saß man im „Wirwesch“-Haus  zusammen, als man bemerkte, dass die Männer, die ansonsten das Feuer  unterhielten und für kleinere Handreichungen sorgten, ausblieben. Auch  blieb die „Purt“, das Tor der Schmiede, auch am Tage geschlossen.  Drinnen werkelte man an einem Wagen, schnippelte an langen Eschenstäben  und hatte aus Grummet meterlange, girlandenähnliche Seile gedreht. Aber  man wurde nicht so recht schlau aus dem Getue der Männer und auf  neugierige Nachfragen bekam man nur dumme Antworten.
Dann überschlugen sich die Ereignisse. Man sah den Meier an einem  Nachmittag dem Rehlinger Hofgut der Warsberger zueilen. An den beiden  Mühlen vorbei verschwand er durch die kleine Pforte in der  Umfassungsmauer des Hofes. Gleich darauf verließ er mit dem Verwalter  das Gehöft, wobei man sah, dass sich beide einig geworden waren. In der  großen Scheune des Gutes war ein Teil der Fischer Männer beim  Roggendreusch – drei Tage in der Woche war man zur Frohn verpflichtet.  Doch heute verstummte zu einer ungewöhnlich frühen Zeit das Klick-Klack  der Dreschflegel und die Männer verließen den Gutshof Richtung Fisch.  Auch die abendliche Fütterung in den Ställen verlief schneller, weniger  sorgfältig als an den anderen Tagen. Bevor die Frauen das Melken beendet  hatten, waren die meisten Männer schon aus dem Haus. Alte dichte  Filzhüte über den Kopf gestülpt – so wollte man dem herbstlichen Wetter  trotzen. Sie trafen sich beim „Schmatt-Hänschen“, wo man den Anweisungen  des Schworzen lauschte, der die Stunde gekommen sah, in der die Glocken  aus Mannebach den Heimweg nach Fisch antreten sollten. Das Wetter war  günstig: Nieselregen, dazwischen trieb ein anhaltender Ostwind dicke  Nebelschwaden durch das Tal. In zwei Gruppen wurden die Männer  eingeteilt: die Jüngeren sollten unter seiner Führung zuerst das Dorf in  Richtung Mannebach verlassen. Die Älteren würden später mit dem Teimer,  einem Kastenwagen, und verstärkt durch Verwalter und Knechte des  Rehlinger Hofes folgen. Die Eschenstäbe wurden an den Vortrupp verteilt.  Sie glichen den Wanderstäben der Apostelpilger, die man das ganze Jahr  hindurch auf der alten Römerstraße, dem Jakobusweg nach Santiago de  Compostella, antreffen konnte.
Der Fischer Schweinehirt war nach Einbruch der Dunkelheit mit dem  Auftrag nach Mannebach geschickt worden, nach dem Verlöschen der letzten  Lampe Meldung zu machen. Als dann nach und nach die letzten  Petroleumlampen verlöschten, machte er sich auf den Heimweg. Als er,  eingehüllt in einen Ziegenfellmantel und begleitet von seinem Wolfshund  beim Meier erschien, kam Bewegung in die wartende Männerschar. Auf Wink  des Schworzen trat der Vortrupp den Weg zum 25 Minuten entfernten  Mannebach an. Die zurückgebliebenen schoben den frisch geschmierten  Wagen, in dem bereits einige Bauschen Stroh und ein kräftiger Hammer  lagen, durch das Scheunentor. Zwei Pferdebauern brachten je ein Pferd  herbei, denen schon am Nachmittag die Hufeisen entfernt worden waren.  Das Ledergeschirr roch nach frischem Leinöl – alles war glatt und  geschmeidig. Die Zugketten hatte man gegen starke Hanfseile  ausgewechselt. Kein Klappern und Klirren sollte die Nacht durchdringen.  Mit dem gewohnten Fuhrmannsspruch „In Gottes Namen“ setzte sich das  Gefährt in Bewegung.
Inzwischen war der Schworze mit seinen Leuten unbemerkt an die  Glocken herangekommen. Doppelposten umstellten den Bongert. Die  restlichen Männer waren mit den Glocken selbst beschäftigt. Die Klöppel  wurden mit den nassen Leinensäcken fest umwickelt, um die Glockenmäntel  die inzwischen vom Regen schwer gewordenen Grummetseile geschlungen. Die  Klammern und Bolzen der Verankerung wurden sorgfältig gelockert, um  später die Glocken rasch abzusenken. Zufrieden mit der bisherigen  Arbeit, ging der Schworze dem Wagen aus Fisch entgegen. Hin und wieder  drang vom Wiesental rechter Hand ein Lichtschein durch. „Et Miller  Pittchen“ aus der Mannebacher Mühle, ein kluger, weitgereister Mann, saß  sicher über seinen Büchern. Von ihm drohte keine Gefahr. Der sandige,  steinlose Wiesenweg führte genau in die Dorfmitte Mannebachs, wo die  Glocken hingen. Nur noch ein kleiner Bach und die Hauptstraße waren zu  überqueren, dann erreichte man den Bongert. Es gelang, die Pferde unter  den tiefhängenden Glocken hindurchzuführen, so dass der Wagen unter  ihnen zum Stehen kam. Nachdem die Bolzen entfernt worden waren, konnten  die Glocken auf die vorbereitete Strohhütte abgesenkt werden. Fast  lautlos trat das Gespann den Heimweg an.
Bald war die Banngrenze erreicht, die gleichzeitig die Landesgrenze  zwischen Luxemburg und Kurtrier war. In der Sau, einem Fischer Flurteil,  angelangt, ließ der Meier den Wagen anhalten, befreite die große Glocke  aus ihrem Klang schluckenden Gewand und schlug mit dem mitgeführten  Hammer drei Mal an. Der dröhnende Klang pflanzte sich durch das von  einem Bächlein durchflossenes Nebental des Mannebachs fort bis hinauf  zum Dorf auf dem Hang vor der Kimm. Dies war das verabredete Zeichen:  die Glocken sind auf Fischer Grund und Boden!
In Fisch war bereits alles in hellem Aufruhr. Drei Halbwüchsige kamen  mit dem Ruf „Se kommen, se kommen“ angelaufen. „Wir haben es läuten  hören“, bestätigten sie mit Nachdruck. Das Glockengespann hatte  mittlerweile den Bach überquert und war ein Stück bergauf gefahren. Mit  weit ausholenden Schritten nahmen die Pferde, die heimischen Stall schon  riechend, den steilen Anstieg und standen schließlich mit zitternden  Flanken vor dem heimischen Hof. In kürzester Zeit umringten die  Dorfbewohner das Fuhrwerk, um die kostbare Fracht in Augenschein zu  nehmen. Die meisten hatten die Glocken noch nie gesehen. Nachdem die  Pferde versorgt und der Wagen in der Scheune untergestellt worden war,  zogen die Männer zu einem außergewöhnlichen Nachtmahl samt Umtrunk  davon. Diese Zeit nutzten die Mädchen, die Glocken mit Speckschwarten  auf Hochglanz zu bringen und mit Girlanden zu schmücken. Bevor man in  jener Nacht auseinander ging, einigte man sich darauf, nach der  morgendlichen Fütterung die Glocken hinab in den Kirchturm zu bringen.
Es wurde eine kurze Nacht für die Fischer Dorfleute. Am frühen Morgen  setzte sich die Kolonne, nun halbwegs festlich gekleidet, Richtung  Kirche in Bewegung. Der Klausner, der auch den Küsterdienst versah,  schloss auf, das Werk konnte beginnen: Aus dem Inneren des  Kirchenschiffs über eine Steintreppe wurden die beiden Glocken in den  Turm gehievt. Dem Pfarrer im 800 Meter südlich der Kirche gelegenen  Pfarrhaus war das seltsame Treiben um die einsam gelegene Kirche nicht  entgangen. Begleitet von seinem Knecht erschien er auf der Bildfläche  und kam aus dem Staunen nicht heraus. Er ließ sich über jede Einzelheit  der verflossenen Nacht unterrichten und freute sich sichtlich über die  gelungene Aktion. Spontan schickte er den Knecht zurück zum Pfarrhaus,  um für eine gute Brotzeit zu sorgen. Es dauerte nicht lange, bis das  Gewünschte herankam. Freigiebig wurden Brot, Butter und Speck verteilt,  aus einem dicken Bommes köstlicher Saarwein ausgeschenkt, hatte das  Pfarrgut doch in Ayl, in bester Lage, einen stattlichen Wingert. Nach  der Vesper bat der Pastor alle Anwesenden in die Kirche. Sichtlich  bewegt, dankte er allen Helfern für die Rückkehr des Geläuts. Gemeinsam  wurde ein Dankgebet verrichtet und das Te Deum gesungen. Mit mächtigem  Klang fielen die beiden Glocken in den Lobgesang der Leute von Fisch und  vom Rehlinger Hof ein. Fast alle hatten sich eingefunden. Über den  „Korler Rourd“, dem Kahrener Kirchenweg, kam eine große Anzahl Leute aus  Kahren und Körrig herbei.
Der Schall der Glocken drang auch talabwärts und dem letzten  Mannebacher wurde jetzt bewusst, wohin die Glocken verschwunden waren.  Zum Schreck der Morgenstunde – die Nachricht war in Windeseile durch den  Ort gelaufen – gesellte sich heimlicher Groll ob der erlittenen  „Ohrfeige“. Sie drehten nun den Spieß um und bezichtigten nun die  Fischer des Glockenraubes, jedoch erfolglos. Obwohl am folgenden Sonntag  etliche Mannebacher in der Kirche fehlten, war diese bis auf den  letzten Platz gefüllt. Die gesamte Familie Warsberg hatte im Chorgestühl  beidseits des Altares Platz genommen. In seiner Begrüßung vor Beginn  der Messe dankte der Seelsorger im Namen der Pfarrgemeinde für die  geglückte Heimkehr der Glocken. Niemand sei zu Schaden gekommen, die  schmerzlich empfundene Abwesenheit beendet. Den Mannebachern sei nicht  minderherzlich gedankt, sprach er weiter, hätten sie doch den Glocken 12  Jahre Asyl gewährt und damit der Pfarrei einen großen Dienst erwiesen.  Nach dem Gottesdienst dankte auch der Reichsgraf von Warsberg den  Männern des nächtlichen Unternehmens, hatten doch seine Vorfahren 1594  den Löwenanteil der Kosten für die Jakobus-Glocke getragen. Jeder Mann  erhielt einen Theresientaler überreicht, der Schworze erhielt auf  Lebzeit Wohnrecht im Warsberger Haus in Fisch.
Die Erzählung ist nicht erfunden, sondern beruht auf wahren  Begebenheiten. Über Generationen wurde sie mündlich weitergegeben, wie  so vieles, was wir an spärlichem Wissen über den Alltag jener Zeit, die  Armut und karge Lebensweise sowie die Abhängigkeit vom Grundherren  besitzen. Nicht immer jedoch gelang es der Dorfbevölkerung, sich gegen  die Obrigkeit zu stellen. 1943 war die Glocke der Dorfkapelle für  Kriegszwecke beschlagnahmt worden. Am hellen Tag wurde sie auf einen  Lastwagen verladen und zur Sammelstelle nach Saarburg gebracht. Sie  kehrte nicht mehr in die Kapelle zurück. Die 250 Jahre zurückliegende  Glockenfehde zwischen Mannebach und Fisch ist heute nur mehr ein Anlass  zum Schmunzeln, wenn in einem der beiden Nachbardörfer die zufällige  Rede auf jene nächtliche Aktion in längst vergangener Zeit kommt.
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